Fotos: gezett.de
von Svenja Macht
Tag : fiston-mwanza-mujila
Fotos: gezett.de
von Svenja Macht
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Mein Live-Blog zu Fiston Mwanza Mujila, hier nachzulesen:
| “Und dann, an ebenjenem Abend” | “Überhaupt ist die Welt” | “der Moment, in dem der Ansturm am stärksten” | “auf die treffen, die ihnen zum Opfer fielen” | “Berg ins Regal” | “zu den Räumen und den Zeiten” | “wurden und werden, und weil am Anfang” |
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Auf gewisse Art war die gestrige Performance das Gegenteil (“Gegenteil”) der bisherigen der Comment-Reihe, vor allem der zweiten, von der ich in meinem Nachwort zum Abend im Nexus-Labor schrieb, dass die Erfahrung individueller wäre als sonst, da der Blick mal hier, mal da, aber selten kontrolliert in nur eine Richtung ging, da man nicht nur in einem Publikum saß, sondern auch einem gegenüber, die Wahl hatte: zwei Beamerfeeds und die Performanden in der Mitte. Hier allerdings war der Fokus einfach, gebündelt auf die Leinwand, in einem abgedunkelten Raum, per Feed aus dem Nebenraum mal Fiston Mwanza Mujila, live und ganz nah vor einer silbrig glitzernden Lamettawand, mal Aufnahmen, die recht unterschiedlich ausfielen, vom Boxkampf vor der Lesung, über Downhill Skateboarder, und ihnen immer hinterher, Tom Bresemann bei einem Statement in Form von Fragen, eine Gruppe Singender in einer Bahnhofshalle, einen leeren Schreibtisch in einem Arbeitszimmer, vorgeführte Jugendliche auf einem Sportplatz während einer Feier, deren Sinn mir unklar blieb, irgendein ein modern-archaisches Ritual vermutlich, bis hin zu etwas Küste, dunklen, vulkanischen Abhängen, aus denen es stetig qualmte, und wo diese Videos, zu denen Übersetzungen und Kommentare zu Mujilas Texten abgespielt wurden, unter anderem von Sandra Gugić und Thomas Köck (und einigen weiteren) eingesprochen, sehr disparat und unzusammenhängend hätten wirken können, war das Klangarrangement von Kurator Jörg Albrecht das nötige Bindemittel, das dies alles zu einem Gesamten machte. Das verlieh dem Abend die vielleicht nötige Stringenz.
Dass Stefan Mesch, einer der Profileser des Comment, während oder kurz nach der Lesung u.a. tweetete, im sei das zu passiv, und dabei Elemente vermisste, die eine Live-Performance für gewöhnlich wohl zu einer solchen machen, “Livecharakter! Bühnen! Applaus! Performer, denen ich ins Gesicht blicken kann!”, lässt sich das durchaus nachvollziehen, wobei es mich und, so nehme ich an, einen Großteil der anderen Unbeteiligten im Publikum weniger störte. Es war Kino, aber ja, passiv.
Ich mochte Mujilas Leseweisen, die auch unterschiedlich waren, besonders die erste, die kraftvoll, anklagend, fast überwältigt klang, wie kurz vor dem Stimmversagen. Jörg Albrecht schrieb im kuratorischen Statement: “Ja. Denn er liest nicht einfach. Er singt und schreit, rappt und wütet”, und diese Energie war auch gestern zu spüren, das Drängende seiner Beobachtungen einer durchkolonialisierten Welt und ihrer Geschichte, ihrer Konsequenzen, die stete Bedrohung, nicht zu überhören, und es störte mich selten, dass ich das Französisch nicht verstand; die Übersetzungen und Kommentare fingen dies dann auf. Die Lesung gestern funktionierte.
von Richard Duraj
Foto: (c) gezett.de
In meinem Live-Blog Eintrag III fragte ich mich: „(…) warum Fiston nicht im gleichen Raum steht und liest“. Hielt also ganz spontan am traditionellen Aspekt einer Performance (der räumlichen, zeitlichen und physischen Anwesenheit des Künstlers) fest.
Nun war ja das Raumkonzept etwas alternativer (Kuration: Jörg Albrecht). Im Hinterzimmer wurde Fistons Performance per Kamera aufgezeichnet und in Echtzeit auf die vom Beamer bestrahlte Wand übertragen. Diese Aufnahmen wechselten sich ab mit eingeblendeten Kommentaren, Musik, Videos von Skateboard-fahrenden Menschen, Feuerwerken u. a. Ein bisschen wie ein DJ-Mischpult. Es entstand eine sehr gelungene, interessante Klangcollage, bestehend aus den Original-Texten, den Übersetzungen, den Kommentaren und Eindrücken der Schüler_innen und Profi-Leser_innen.
„Sagen wir Au revoir zu den Räumen und den Zeiten, an denen wir hängen.“, war die Aufforderung. Ist mir irgendwie nicht so leicht gefallen.
Besonders auch, weil ich wusste, dass im Hinterzimmer etwas passiert, dies aber an keiner Geräuschdissonanz feststellen konnte (manchmal sind Aufzeichnungen ja versetzt… oder ich saß wirklich zu weit hinten im Raum?).
Welchen Reiz hat eine Echtzeit Videoübertragung eigentlich? Oder anders gesagt – die Übertragung von Performance? Ist ja nun, vor allem im Theater, nichts Neues (da sagt man eher: „Schon wieder n’ Live-Video!“).
Aber wir waren bei einer Lesungs-Performance. In diesem Kontext ist das Konzept echt spannend, besonders in Bezug auf die zusätzliche räumliche Dimension, die mein Denken als Zuschauer anregt – und fordert. Vielleicht ist es ein Spiel mit unseren Blicken und Ohren. Mit Perspektiven. Bei einem Video sehe und höre ich anders hin, die aufgezeichnete Lesung fließt (Ton) automatischer mit den anderen Video-Elementen (Bild, Schrift und Musik) zusammen. Interessant ist auch, dass Fistons’ starke, lyrische Prosa an sich schon einen Fluss bildet.
Trotzdem war es kein Kino-Abend. Gerade gut.
von Corinna Bodisco
die küste wie küsten küstengleich, kulturbelassen. vulkanhaftes in asche und rauch. es flimmert aus dem nebenraum. jetzt fiston mwanza mujila und jörg albrecht vor uns unterm video. klang weiterhin vorhanden. jetzt stehend. da haben auch die fotografen mehr zu tun. ich nehme an, vorbei. ja, vorbei. applaudierung, abgang, in revers. fragegelegenheiten werden bald angeboten.
muss zugeben: hat mir gefallen. den anderen unbeteiligten wohl auch. jetzt fragen. mal sehen, was kommt. ob überhaupt. wieder diese jugend.
von Richard Duraj
Foto: (c) gezett.de
klimawandel und kolonialisierung. geht immer. thomas köck kommentiert, was er, wie ich, nicht versteht. unterhält. // die s-bahnisierung der welt. vielbeachtete fluchtwege irgendwo. man orientiert sich aneinander. da stehen sie in einer halle, einem durchgang, ich vermute, s-/u-bahnbahnhof oder variante davon, metro mit christopher lambert, von luc besson, und stehen. und singen? // fmm greift auf traditionen zurück, die ich als die seinen annehme. wessen denn sonst. im berghotel ein bodenbelag , an dem wir stricken, während danny auf dem dreirad an uns vorbeifährt, ist die geschichte. eine leichte unruhe.
von Richard Duraj
19:52: Das TRAM 83 wird mit der Grotte von Lascaux verglichen. Warum? Ich frage mich, warum Fiston nicht im gleichen Raum steht und liest. Ich würde seine Stimme gerne live hören. Wo ist er eigentlich? Wo wurde das Video aufgenommen?
19:54: Fistons Sprache ist sehr sinnlich. Er beschreibt Gerüche (canne à sucre…), zählt (in einem endlosen Fluss) auf, wiederholt (“Vous-avez l’heure?”), baut Geräusche ein. Ein Musikstück. Gerade auf Französisch gefällt mir dieses Musikstück. Frage mich aber wieder, wie es auf die nicht Französisch-verstehenden Zuschauer wirkt. (Nachträgliche Anm.: Die Übersetzung gab’s natürlich für die Zuschauer. Sogar gefaltet!)
19:58: Ein Video wird eingeblended. Was ist das? Ich denke, eine Schaupielerin erkannt zu haben…. Das Ganze findet in einem Stadion statt. Jetzt Freeze. Ein Kommentar wird gelesen und in blauen großen Lettern auf die Wand geworfen.
20:00: (Diskussion mit einer Schülerin?) “Mutter-Mädchen. Besser als Mädchen-Mütter. Denn es sind ja Mädchen.” Wow. Kompliziert.
20:03: Ach ja. Alle Kommentare werden mit einer beschriebenen, gelben Karteikarte eingeleitet. Name. Datum. Jetzt Thomas Köck. Ich finde den Beitrag klasse. Es geht nämlich um das Fremdsprachenverständnis. Er versteht nicht alle Wörter, findet das aber nicht schlimm. Und manchmal alles, ohne explizit die Wörter zu verstehen. Und ihm gefällt die Darstellung von Frauen in Fistons Texten NICHT. Mir auch nicht.
20:06: Eine Chorszene in verfremdetem gelben Licht. Die Menschen im Video sind nicht zu erkennen, so ausgefranst sind ihre Konturen. Es hallt wie in einer Kirche. Es ist sehr schön.
20:09: Wechsel wieder zu Fiston. Vor dem Lametta. “Samba, samba, samba”, singt und tanzt er. Er liest “Be-pop dans une nuit de beuverie”.
von Corinna Bodisco
Foto:© gezett.de
jörg albrecht, der kurator dieses abends, und von fiston mwanza mujilas commentanteil, ist, so vermute ich, für die vertonungen der deutschen übersetzungen verantwortlich. wenn ja, die kommen gut. wenn nicht, auch.
ob es auffällt, wenn ich von meiner mitbloggerin abschreibe?
wie fmm liest – wobei natürlich die sprachbarriere vielleicht hilft, weil mir die texte nicht missfallen können -, lässt mich nur wieder daran denken, wie häufig mich deutschsprachige leseweisen auf lesungen langweilen, und ich wünschte, auch bei denen wäre mehr lebendigkeit, energie, emotion, melodie, oder das, was ich dafür halte. wenn im kuratorischen statement steht
Und dann, an ebenjenem Abend, hörte ich Fiston zum ersten Mal singen. Ja. Denn er liest nicht einfach. Er singt und schreit, rappt und wütet, er spielt seine Texte, als wären sie eine Partitur, oder vielleicht stimmt das nicht, vielmehr stellt er sich hin und läßt sich spielen, als wäre er selbst diese groß angelegte Symphonie, in der die Instrumente die Steine auf der Straße sind, der Staub, das Wellblech, […]
dann ist das nicht übertrieben. […] histoire de negre. […] wenn das wort tourist im text vorkommt, so ich hinhöre und aufhorche, dann fühle ich mich an diesem abend recht direkt angesprochen, weil ich kein französisch kann. tartarbahn im video. irgendeine art schaulaufen junger menschen auf einem sportplatz. hübsch gruselige kombination zu dem dialog, der dazu läuft, und in dem wörter wie “muttermädchen” vorkommen
von Richard Duraj
19:20: Videos: Hunde beißen sich auf der Straße an den Armen ihrer Herrchen fest. Und Beiträge von Tom Bresemann. Schon wieder die Hunde.
– Video-Collage TRAM 83 –
19:22: Fiston wieder. Hinter ihm goldenes Lametta. Weihnachtliches Jazz? “Au commencement était la pierre.” (TRAM 83 #1) Da muss ich an die Genesis denken. Requiem, Protagonist von TRAM 83 befindet sich an der Gare du Nord. Ein Knotenpunkt. Viel zu viele Menschen, Gedränge, Hitze, Getöse und endlose Rolltreppen. “toute la racaille” wird hier transportiert. Fiston findet Geräusche für die vorbeiratternden Züge. Hier finden sich auf der histoire Ebene Lucien und Requiem wieder.
19h34: TRAM 83. Ein verrückter, dunkler Ort. “Je suis une femme libre. Mais je cherche encore l’homme de ma vie” – (Ich bin eine unabhängige Frau, aber ich suche noch immer den Mann meines Lebens). Sind solche Frauen auch im TRAM 83 zu finden?
19h37: TRAM 83 und die Gare du Nord (“eine Metallkonstruktion”) passen gut zusammen. Hier interessiert sich keiner, was du treibst. Anonymität.
19h38: Auf dem Bildschirm sprüht ein Feuerwerk. Lässt mich an Silvester denken und von der Lesung abschweifen. Obwohl ich Feuerwerk echtbescheuert finde.
19h43: Die Lesung: visuell-sprachliche Klangcollage.Wenn Fiston ins Bild kommt, wird getanzt, gesungen, mit der Stimme gespielt. Ich starre zu oft auf das Feuerwerk. Die Wiederholungen des Textes sind angenehm. Liefern mir einen Fixpunkt im Sprachfluss.
von Corinna von Bodisco
Foto:© gezett.de
“eine lange geschichte”, soviel kann ich übersetzen. und “mustache”. folge der entsprechenden bahn als beschleunigtes geschoss, was im transitraum. ein kolonialismus der herzen. gare du nord, tram 83. sandra gugić kommentierte. die einzelnen videos. wirken. ein angenehmer grad an politischem, gesellschaftlich relevantem markiert die texte, was uns beschäftigt, wenn wir uns nicht beschäftigen. vertonungen von kommentaren. übersetzungen. ich fühle mich bisher sehr gut unterhalten. was klackert da über die gleise im hintergrund des gesprochenen.
von Richard Duraj
18:47: Der Raum ist leicht abgedunkelt und füllt sich (es wird richtig voll!!). Zuschauer sitzen auf Stühlen, im vorderen Teil auf großen “QR”-Kissen vor einer Beamerprojektion. Boxkampf.
18:55: 1:1. Wird es ein Kino-Abend?
19:03: 2:2. 1:4. Zwei Boxer mit großen Muckis. Schnelle aufeinanderfolgende Runden. Sehr dunkles Bild. Muss wohl aus den Neunzigern oder so stammen. Der Schiedsrichter muss andauernd dazwischen gehen.
19:10: Ich fühle mich wie in einer Aula. Ah. Nun erscheint Fiston Mwanza Mujila auf dem Bildschirm. Lacht. Plötzlich wechselt er zum “Monologue d’un damné“. Krasser Übergang. Der Verdammte kotzt seine Probleme. Staccato. Fiston versagt die Stimme ein bisschen. Sie kippt nach hinten weg.
19:14: Einblendung einer Zeichnung. Übersetzung. Die Stimme ist angenehm. Wirkt wie ein typisch deutsches Hörspiel. Wer liest die Übersetzung?
19:17: “Kotzen, kotzen, kotzen bis zur Ohnmacht.” Schülerkommentare werden eingespielt – von den Schülern selbst eingesprochen. Das wirkt auch alles sehr vorgelesen. Ich wünsche mir gerade jemanden, der auf Fistons Performance antwortet.
von Corinna von Bodisco
so gut wie gleich geht es los in der lettretage, der dritte abend der comment-reihe. der saal ist voll, die cola schmeckt. vorne liegen sie bereit auf den kissen, vor der bestrahlten wand, auf welcher ein boxkampf grob zu sehen ist. atmosphärisches wummern. das licht geht aus. ab geht es.
von Richard Duraj
Dienstag, 25. November 2014, 19:00 Uhr, Eintritt frei
¿Comment! – Performance mit Fiston Mwanza Mujila,
kuratiert von Jörg Albrecht
Prosa und Lyrik des kongolesischen Autors und Kommentare seiner Leser, darunter Gernot Krämer und Schüler des Friedrich-Engels Gymnasiums, des Hildegard-Wegschneider Gymnasiums und des Eckener Gymnasiums
Zweisprachige Lesung (deutsch/französisch)
Die Lettrétage dankt den Förderern und Partnern!
Lettrétage, Mehringdamm 61, Nähe U7/U6 Mehringdamm
Fiston Mwanza Mujila, 1981 in Lubumbashi (Demokratische Republik Kongo) geboren, studierte Literatur und Humanwissenschaften. Derzeit promoviert er über afrikanische Literatur an der Grazer Romanistik. Fiston Mwanza Mujila schreibt Gedichte und Kurzgeschichten, seit kurzem auch für das Theater; seit einigen Jahren nimmt er an vielen literarischen Veranstaltungen im Kongo und im (europäischen) Ausland teil.
Veröffentlicht wurden seine Gedichte und Texte in Frankreich, Belgien, Deutschland, Österreich, Rumänien, und der Ukraine.
Jörg Albrecht wurde 1981 in Bonn geboren und wuchs in Dortmund auf, heute lebt er in Berlin. Er studierte von 2001 bis 2006 Komparatistik, Germanistik und Geschichte in Bochum und Wien. Albrecht schreibt Prosa/Romane, Theatertexte, Hörspiele und Essays; seine Foto- und Videoarbeiten und Performances beschäftigen sich als intermediale Serien mit Machtkonstellationen.
Seine literarischen Arbeiten zu Themen wie Überwachung, Prekarisierung und Queerness wurden als Rückkehr des Diskursiven und Politischen in die Literatur der jüngeren deutschen Generation gewertet.
Kuratorisches Statement:
Ich lernte Fiston Mwanza Mujila an einem Septemberabend des Jahres 2010 in Graz kennen, als er mir, wie es Brauch ist, das Zepter des Grazer Stadtschreibers übergab, dessen Amt er in den zuvorliegenden zwölf Monaten innegehabt hatte, und das er mir nun weiterreichte, und zwar mit der Bemerkung, seine Großmutter daheim, in der Demokratischen Republik Kongo, hätte ihm am Telefon gesagt, daß es sich für so ein Ereignis gehöre, ein großes Geschenk zu machen, sogar ein bestimmtes, ja, es könne bei diesem Anlaß eigentlich nur eines sein: eine Ziege. Obwohl die in den Rosengarten oben auf dem Grazer Schloßberg, wo der Stadtschreiber seine Wohnung hat, perfekt gepaßt hätte, schenkte Fiston mir lieber eine kleine, aus Holz geschnitzte Ziege, die oben auf dem Berg ins Regal paßte, neben die paar Bücher, die ich für das Jahr mitgebracht hatte, das ich nun dort verbringen würde.
Und dann, an ebenjenem Abend, hörte ich Fiston zum ersten Mal singen. Ja. Denn er liest nicht einfach. Er singt und schreit, rappt und wütet, er spielt seine Texte, als wären sie eine Partitur, oder vielleicht stimmt das nicht, vielmehr stellt er sich hin und läßt sich spielen, als wäre er selbst diese groß angelegte Symphonie, in der die Instrumente die Steine auf der Straße sind, der Staub, das Wellblech, die weggeschnippte Kippe, der Speichel, das Klatschen einer Ohrfeige, das Knistern der Haare eines Schnurrbarts, drei Jeeps, die durch Schlaglöcher fahren, drei Kinderstimmen, die sich streiten, drei Kofferradios, aus denen ein Jazz-Stück dringt, aber nicht ganz durchdringt – eine Symphonie, die immer wieder anders gespielt werden muß, bis sie am Ende ist, und das Ende ist der Anfang, und „au commencement était la pierre et la pierre provoqua la possession et la possession la ruée“.
Fiston Mwanza Mujila schreibt über das Ohr, für das Ohr. Er wollte Saxophonist werden, doch nirgendwo in seiner Heimat hätte er das lernen können, also blieben ihm die Worte. Er schreibt Gedichte. Er schreibt Prosatexte, unter anderem den Roman Tram 83. Und er schreibt auch Texte für die Bühne, in denen zum Beispiel Marxismus und Religion aufeinanderclashen und auf die treffen, die ihnen zum Opfer fielen, und die aus dem Jenseits ihre Kämpfe weiterkämpfen.
Überhaupt ist die Welt, die Fiston beschreibt, eine gewaltvolle. Die Gewalt steckt dabei in der Sprache, mit der die Dinge beschrieben werden, in der Brutalität verschiedener Stimmen, die drohen und fluchen und wüten und einander durchkreuzen und anheizen. Es ist immer auch eine kolonialisierte Welt, die sich nicht ändern wird, allein, weil es die Körper sind, die versklavt wurden und werden, und weil am Anfang von allem immer die Verteilung von Besitz steht, und der Besitz löst einen Ansturm aus auf die Teile der Welt, die besitzen.
Was hoffen läßt, ist der Moment, in dem der Ansturm am stärksten ist, und in dem Fistons Sprache in etwas durchbricht, das jenseits dieser brutalen Einzelkämpfe liegt. Dann auf einmal ist da etwas jenseits der Tragödie, die uns teilt. Eine Zärtlichkeit, die uns die Tragödie teilen läßt. Und das dort, wo Sprache und Körper auseinanderfallen und so endlich wieder miteinander sind.
Zur Performance
Sagen wir Au revoir zu den Räumen und den Zeiten, an denen wir hängen. Hier im Hinterhof eröffnen wir ein Hinterland, hin- und hergerissen, kreuz und quer veteilt, aber nicht mehr im Hintertreffen der globalen Kräfte. – Bouchez-vous les oreilles! – Macht ruhig. Wird euch nix nützen.
Texte (frz./dt.) von Fiston Mwanza Mujila
Kommentare zu den Texten Fiston Mwanza Mujilas
von Katharina Deloglu
Lesung Fiston Mwanza Mujila: Monologue d`un damnè
ALLE UNTERWEGS INS NIRGENDWO*
//*Zitat aus TRAM 83
Zum Romanauszug TRAM 83 von Fiston Mwanza Mujila
von Sandra Gugic
Die Lektüre von TRAM 83 lässt mich auch an Elfriede Jelinek denken, eine Meisterin des Sprachturmbaus, an ihre Theatertexte Bambiland und Babel. Auch Fiston Mwanza Mujilas Text ist im besten Sinne pathetisch, ebenso trivial und schamlos wie poetisch, die Motive sind genau gesetzt, Sprachflächen durchsetzen die vordergründige Handlung und die Dialoge zwischen Lucien und Requiem, die einzelnen Komponenten sind die Fäden, die den Sprachteppich bilden.
Wir sind Verlierer, die Götter haben uns verlassen, die Kriegsheimkehrer sind heimatlos und die Daheimgebliebenen orientierungslos.
// Christoph Schlingensief über Jelineks Bambiland
Der Blick des Autors streift die Frauen im TRAM 83, die sich Lucien und Requiem anbieten, die Küken und Mutter-Mädchen, die Schönheiten wie auch die Alten und Hässlichen die sich allesamt ihren „Fettsteiß“ anzüchten, sich dabei mit Pillen und Schweinefutter behelfen, um einen grotesk aufgeblasenen brasilianischen Po* zu bekommen.
*Apropos, wer hierzu ein grotesk sexistisches Musikvideo sehen will, das mir in diesem Zusammenhang spontan einfällt, bitteschön, am besten Augen zu und durch // Nicki Minaj, Anaconda, 2014 > http://vimeo.com/103875158
Das TRAM 83 ist eine ebenso groteske Comicwelt, die ein Rauschen erzeugt, ein Rauschen aus Menschenlärm und Jazz. In einer Passage heißt es:
Jazz ist ein Zeichen von Noblesse, die Musik der Reichen und Neureichen, der Schöpfer dieser schönen kaputten Welt. (…) Vor allen Dingen ist Jazz ein abschüssiges Terrain, eine Felswand, die nur erklimmen kann, wer seine Ursprünge, seine Geschichte, seine wichtigsten Vertreter kennt … Jazz ist längst nicht mehr Sache der Neger (…) Jazz ist der Hebel, dessen sich der ganze Abschaum des TRAM 83 bedient, um die Gesellschaftsschicht zu wechseln wie die U-Bahn.
Lucien, der Schriftsteller, zieht immer wieder sein Notizbuch aus der Tasche um diese Welt zu dokumentieren, eine Spiegelfigur des Erzählers oder sogar des Autors. Lucien schreibt an einer Stelle:
Dies ist keine Bar. Wo werden sie sich abreagieren, wenn es keine Frauen mehr zur Erfüllung ihrer Fantasien gibt? (…)
Und Lucien hat Recht, das TRAM 83 ist keine gewöhnliche Bar, es ist ein Polyptychon, der an Bilder wie den Garten der Lüste von Hieronymus Bosch erinnert. Trotz der starken Dynamik herrscht eine Verfallsstimmung, eine Endzeitstimmung vor.
Ebenso wie man sich in der Betrachtung den einzelnen Motive und Details des Garten der Lüste verlieren kann, ist TRAM 83 vielschichtig und sogar unterhaltsam, was – wie Umberto Eco in seiner Nachschrift zum „Namen der Rose“ schreibt – nicht bedeutet, dass ein Text uns, den Leser, besänftigen oder in angenehme und versöhnliche Bilder hüllen muss, sondern er darf uns wachrütteln: mit Alpträumen und Obsessionen.
Städte herrschen über die Erde. Von wenigen Metropolen aus wird die Welt regiert und das Schicksal der Menschheit entschieden. Sie sind Hoffnung und Zuflucht, Mittelpunkt des Lebens und zugleich der Versuchung und Gefahr.
// Überall ist Babylon, Wolf Schneider
ALLE UNTERWEGS INS NIRGENDWO*
//*Zitat aus TRAM 83
Zum Romanauszug TRAM 83 von Fiston Mwanza Mujila
von Sandra Gugic
Das TRAM 83 ist eine Bar und das schwarze Herz einer Stadt, ein Sehnsuchtsort der Verlierer und Glücklosen, ein Ort der Unmöglichkeiten. Die ungeschriebene Regel des TRAM 83 könnte sein:
Nothing is true, everything is permitted.
Everything is true, nothing is permitted.
Der Autor lässt seinen Blick über die Gestalten im Inneren des TRAM 83 schweifen, über Touristen, Prostituierte, Söldner, Diebe, Agenten, Kindersoldaten, Halbwelt und „normale Welt“ treffen aufeinander. In einer nicht endend wollenden Aufzählung rollt der Autor Daseinssplitter und Fragmente wüster Lebensgeschichten vor uns aus. Und hier sind wir jetzt, mitten im Geschehen mit Lucien und Requiem.
TRAM 83 ist ein Text voller Wut und Dringlichkeit, in rhythmisch-musikalischer Sprache zieht er uns mit sich, ein Bewusstseinsstrom, der unter dem Text fließt, ähnlich dem eines William S. Burroughs, das TRAM 83 könnte ebenso in Burroughs Interzone liegen.
In the City Market is the Meet Café. Followers of obsolete, unthinkable trades doodling in Etruscan, addicts of drugs not yet synthesized, pushers of souped-up harmine, junk reduced to pure habit offering precarious vegetable serenity, liquids to induce Latah, Tithonian longevity serums, black marketeers of World War III, excusers of telepathic sensitivity, osteopaths of the spirit, investigators of infractions denounced by bland paranoid chess players, servers of fragmentary warrants taken down in hebephrenic shorthand charging unspeakable mutilations of the spirit, bureaucrats of spectral departments, officials of unconstituted police states, a Lesbian dwarf who has perfected operation Bang-utot, the lung erection that strangles a sleeping enemy, sellers of orgone tanks and relaxing machines, brokers of exquisite dreams and memories tested on the sensitized cells of junk sickness and bartered for raw materials of the will, doctors skilled in the treatment of diseases dormant in the black dust of ruined cities, gathering virulence in the white blood of eyeless worms feeling slowly to the surface and the human host, maladies of the ocean floor and the stratosphere, maladies of the laboratory and atomic war… A place where the unknown past and the emergent future meet in a vibrating soundless hum… Larval entities waiting for a Live One…”
// William S. Burroughs, Naked Lunch
Die Bilder aus Fiston Mwanza Mujilas Erzählkosmos würden sich auch in jene, die David Cronenberg in seiner Naked Lunch-Verfilmung von 1991 findet, gut einfügen.
LINKS >
New Writing Machine > http://www.youtube.com/watch?v=sRzpG59MKWo
The talking asshole > http://www.youtube.com/watch?v=uiWIjWh3MNA
Doku