
Als Nachtwächter bewegte sich Nexus abseits der Gesellschaft. Wachte wenn andere ruhten und schlief als andere erwachten und tat dies um sich ihnen zu entziehen.
Die Vorstellung des Lesers wird angesprochen („Baut im Kopf…“) – er soll dieses dreiunddreißig Etagen hohes Gebäude errichten. Nur passt meine Vorstellung nicht mit der mir hier dann doch vorgegebenen zusammen.
Nexus sieht sich selbst nicht für die Arbeit im Vordergrund gemacht, neben den schönen Pflanzen. Es tut mir mal wieder leid, aber die Passage ist recht atmosphärisch, passt aber wieder so ins Bild… das irgendwie zu bruchlos erscheint. Ist es nicht, platt behauptet, doch meist der Mensch im Hintergrund der dann andere umbringt? Nexus im Schatten, Nexus der keine Sonne abbekommt, der im Fahrstuhl nicht smalltalken kann… ja: Nexus halt. Wir kennen ihn nun leider schon. Trotzdem, schön erzählt, könnte ich wohl nicht. Ein so gutes Bild, dass mir noch einige Songs mehr dazu einfallen würden und mir Nexus dann leid tut. Soll er mir ja auch, denn so wird Nexus sympathisch, auch wenn er auf der Straße einen Turm Leichen errichtet. Und nachdem dieses Bild der Stadt gezeichnet wird, verwundert der Leichenturm auch niemanden mehr. Das ist das Problem mit Textausschnitten – nein, das vollständige Buch habe ich nicht gelesen: Ich schätze, die Handlung würde sich interessanter aufbauen.
Daher die Frage, die mich ständig beschäftigt: Wenn dich die Fakten auf ein Nichts reduzieren – und das verkümmerte Gehirn nach innen abdriftet –, solltest du dann nicht an die Fantasie übergeben? Aber welche von den Fantasien, die die Menschen aufrechterhalten, nimmt man? Und welche meidet man besser, weil sie einen schädlichen Einfluss haben und uns blind für das machen, was leben heißt? Von allen Fragen, die ich mir ausdenken kann, ist diese meiner Meinung nach die wichtigste.
Aber bei dieser Textstelle – Ha! Da denken wir uns bzw. ich: Oh er driftet in die Fantasie ab!; Oh er erzählt ja auch irgendwie!; Oh, hey – vielleicht erzählt der Typ auch nur eine Geschichte die nicht stimmt!? Um über das Thema „Glaubwürdigkeit fiktiver Texte“ berichten zu können, braucht man ja nun auch kein Germanistikstudium mehr. Ob er nun seine Fantasien ausgelebt hat oder nicht. Er erzählt sie. Auch wenn er sein Motiv klar konturiert, begründet er zuerst einmal lediglich das seiner Fantasie. Witzig, dass der Erzähler bei mir nochmals auf der Anklagebank landet… Armer Nexus.
Doppelte Stille. Die Schüsse die Nexus in jener Nacht abgefeuert hatte, versetzen ihn in ein Labyrinth; surreal und still, mehräugig bewacht. Jedoch ein Wunder für ihn. Ein Wunder gesehen, sogar beobachtet zu werden. Eine Beachtung, denen er Schüssen verdankt – sieben oder acht. Also Schüssen, an deren Anzahl er sich gar nicht genau erinnern kann: Hat er sie denn gesehen, konnte er sich dabei beobachten?
http://www.youtube.com/watch?v=h1vJ7ARCdGg&w=420&h=315
Das Schweigen, das ihm während der Gerichtsverhandlung noch half, scheint zur Bürde geworden zu sein. Das Misstrauen gegenüber der Sprache richtet sich auch gegen das geschriebene Wort. Es bleibt das Reden im Schädel – gleichzusetzen mit Sprache oder Sprachlosigkeit? Und ist Sprache nicht auch eine Art Vergewisserung der eigenen Existenz? Führt das Eingesperrtsein, das Festgehaltenwerden in einem Raum der nicht zu entschlüsseln ist, einem Labyrinth – das Nichtverortbare der eigenen Person – auch zur Nichtexistenz? Oder ist es lediglich ein Schwebezustand der durchbrochen werden kann?
Kann man nicht mehr über sich erzählen ist man dann auch einfach nicht mehr? Ist das Leben also manipulierbar durch Sprache. War Nexus mit seiner eigenen Geschichte so unzufrieden, dass er sich mit Hilfe der gefallenen Schüsse aus ihr herausfeuern wollte? Oder wollte er sie lediglich umschreiben, einen Wendepunkt für sie finden?
Geht es nicht schließlich hier ums Schrewiben selbst – eine Manipulierbarkeit der Realität, ihre Kontrolle, ihr Erzeugen? Gab es denn diese Toten tatsächlich, diese Gerichtsverhandlung oder war alles ein Reden im Schädel?
http://www.youtube.com/watch?v=Ib4a29UnUVQ&w=560&h=315
Offen bleibt an Nexus‘ Geschichte auch wofür er Rache üben wollte? An der eigenen Geschichte?
Relativ amüsant, dass der Schlaf hier die Flucht darstellt. Eine Flucht die auf einem Berg Leichen endet…
Oder wollte Nexus nur der Vernunft entkommen die die Stadt vorgibt, in der er sich scheinbar unbemerkt bewegte, indem er eine irrationale Tat vollbrachte?
Alles wirkt surrael, wirk spekulativ, wenn Nexus von seiner Gabe des zweiten Gesichts berichtet – die ihn sowohl zum Protagonisten als auch zum Erzähler der Geschichte machen kann.
Wollte Nexus nicht nur die eigene Geschichte ändern, so war die Richtung von ihm vorgegeben. Es ging scheinbar auch darum gesehen zu werden, eine Aufmerksamkeit zu gewinnen, in das Universum, der Anderen vorzudringen, mit der erzwungenen Wendung der eigenen Geschichte eine höhere Frequenz verleihen. Geht es also doch um das Sich –Mitteilen, sucht Nexus doch ein Gespräch das nicht zu Stande kommt und das ihn so zum Schweigen drängt, zur Abkehr von Worten die sich an die Anderen richten? Und führt ihn das nicht wieder in das Universum der Unsichtbaren, der Einsamen zurück? Dabei wollte er doch dann wieder in dieser Welt verbleiben, wollte scheinbar nur eine kurze Dauer von Aufmerksamkeit. Paradox. Auch wenn er von den dreizehn Monaten seines Lebens spricht…. Ach ja, Fragen.
Ich mag ja diesen Text. Er ist wunderbar grotesk. Wie sollte man auch oft anders zum Rechtssystem stehen. Der in diesem Text Angeklagten scheint den Prozess der ihm hier gemacht wird als eine Art Scharade zu empfinden. Das Urteil über ihn wird seiner Ansicht nach lediglich durch die Müdigkeit der Geschworenen gefällt. Dabei wirkt es grotesk, dass der Angeklagte nicht mit ihrem Sprecher tauschen möchte, welcher die unangenehme Aufgabe hat, das Urteil über ihn verkünden zu müssen, muss er doch mit lebenslänglich rechnen. Während der Sprecher bei der Verkündigung mit sich ringen muss – ihm der Schreck im Gesicht steht – lässt sich keine emotionale Regung bei dem Angeklagten feststellen, auch nicht durch die Gewissheit dass bereits hinter verschlossenen Türen über sein Schicksal entschieden wurde.Während er vom gesamten Gerichtssaal beobachtet wird, scheint er doch nicht der Protagonist, sondern der eigentliche Beobachter zu sein. Ist es doch meist die einzige Fluchtmöglichkeit, selbst zum Beobachter zu werden, wenn alle Augenpaare auf dich gerichtet sind. Auf diese Weise verschafft man sich die Distanz um sein Überleben zu sichern oder sich schlichtweg nur nicht angesprochen zu fühlen. Unbeteiligte Betrachter haben auch vor Gericht das Recht zu schweigen, weiter zu beobachten, zu observieren um sich im äußersten Fall ihre Meinung im Stillen zu bilden, falls sie denn dem Drang einer Positionierung nachgeben wollen.
Tocotronic – Aus meiner Festung
– Um hier noch den Pflichtanteil literarischer Allgemeinbildung mit herein zu bringen: Na, woher kennen wir denn so absurde Gerichtsverhandlungen? Ja, richtig: Kafka. Der Prozess. – Hat ja jeder schon einmal gelesen, weil muss ja. Ansonsten kann man auch einfach so tun. Das war auch so ein groteskes Ding: “»Richtiges Auffassen einer Sache und Mißverstehn der gleichen Sache schließen einander nicht vollständig aus.«” (Habe ich natürlich aus Wikiquote kopiert.)
….Ich sah Rosetten von Gehirn auf den Gehsteig spritzen. Die Straße quasi Kathedrale. Die großen Orgeln gingen los.
Als Leser möchte man dem Angeklagten noch nichts anhängen. Böser Wille und keiner zur Kooperation? Hm, keine Ahnung, weiß ich doch nicht. Die Fakten die hier aufgezählt werden, sind aber wunderbar bildlich und so voller Stimmung. Sollte ich diese Straftat allein nach diesen Fakten beurteilen, würde ich wahrscheinlich sagen, dass ich mir das so ganz gut vorstellen kann, so stimmungs- und bildmäßig. Wie Arthouse-Splatter – falls dieses Genre überhaupt existiert? Ich habe gegoogelt. Sowas wie “blood+cathedral”. Ich habe das hier gefunden, so eine Art Gaming-Version:
Blood Knights is an Action RPG following the “age-old conflict between vampires and humans” as it escalates into open war. It combines spectacular battles with RPG elements – in single player or co-op.
Und auf der gleichen Seite wo es anscheinend um Underground-Gaming geht, habe ich auch weiteren nützlichen Input gefunden. Diesmal zum Thema “Blood splatter”. Könnte ja noch hilfreich sein:
The spatter of blood appears in video games for a number of reasons. It could be the aftermath of a bloody shootout between terrorist and a SWAT unit or the result of a devastating uppercut in a championship boxing match.
Genug davon, aber als Kunsthistoriker feiert man ja solche Stellen besonders derbe ab. Im Großen und Ganzen war das Morden also ein Fest fürs Auge. Was da gefeiert wurde, würde ich gern wissen, aber das erliest man sich vielleicht noch im Folgenden. Der Begriff “Rosette” stammt übrigens aus dem Lateinisch-Französischem und bezeichnet ein rundes Ornament in Blütenform. Und eine “Kathedrale” bezeichnet eine Bischofskirche. Glaubt man jedoch Peter Sarstedt, kann man den Begriff Kathedrale aber auch in die Sprachwelt der eigenen Befindlichkeiten integrieren:
Soundtrack gibts auch:
Peter Sarstedt – I am a cathedral
I am balanced well, you see,
I am a Cathedral locked in stain glass windows,
I am a Cathedral dimly lit.
….. weiter in der Assoziationskette:
Verrückt sind nur die anderen. Ihr Urteilsvermögen ist ausgeschaltet. Ist der Sprecher der Geschworenen mehr Opfer des Urteils – so ist der Anwalt der das Verrücktsein des Angeklagten bestätigt, das Ausgeschaltetsein dessen Urteilsvermögens, der Ausgeschaltete. Auch der Sachverständige wird vom Angeklagten kaum für Voll genommen. Wie absurd.
….
Der Verurteilte berichtet gegen Ende des Textes über den Komfort der Betten, die ihm zugewiesen wurden. Die Gesellschaft entscheidet per Gerichtsbeschluss über Bett und Schlafqualität. Wie man sich bettet oder die anderen dich betten, so ruhst du also auch – so heißt es ja auch schon seit Urzeiten. Einem verurteilten Mörder wird ein anderes Bett zugewiesen als einem Unzurechnungsfähigen. Die Unbescholtenen schlafen ja auch angeblich einen besseren Schlaf als die mit Dreck am Stecken. Da das Rechtssystem unberechenbar ist und vielleicht auch seinen Spaß daran hat, darf der Mensch auch gern mal das Bett wechseln, falls er denn nicht schon von selbst auf die Idee gekommen ist.
Performances
Ross Sutherland & Simone Kornappel
DO, 20.11. | Lettrétage
Vincent Message & Gerhild Steinbuch
DI, 25.11. | Lettrétage
Fiston Mwanza Mujila & Jörg Albrecht
DO, 27.11. | Lettrétage
Christian Prigent & Christian Filips & Aurélie Maurin
COMMENTS
- Moritz bei Live-Blog zu Christian Prigent / lamentationen in lametta [zwei rd]
- Stefan Mesch bei Live-Blog I (cvb) / Performance Fiston Mwanza Mujila
- Konstantin Ames bei 18.11. Performance Ross Sutherland – Auftakt
- stonch bei Fiston Mwanza: Be-pop dans une nuit de beuverie
- Christian bei Christian Prigent: l’âme – tomber du jour #1
Carolin Beutel zu Vincent Message: Die Wächter #4
Link: Famous Writers’ Sleep Habits vs. Literary Productivity, Visualized
Im Schlaflabor spielt sich diese Szene nun also ab. Ab diesem Abschnitt spielt die Figur Nexus eher eine indirekte Rolle. Man könnte vermuten, Traumfreund ist sein Psychiater und Rilviero ist scheinbar ein Mitarbeiter im Schlaflabor. Ob es so ist, keine Ahnung. Ich vermute es einfach mal. Im Labor wird über die Wissenschaft geredet / philosophiert. Nicht uninteressant. Ich würde auch dem zustimmen, was da so erzählt wird.
Und ja, Wissenschaft ist undankbar. Sie wird angezweifelt etc. und wenn man dann ihren Wert erkennt, bekommt der Mensch der mit Erkenntnissen usw. dahergekommen ist entweder einen Nobelpreis oder posthume Verehrung. Yay. Aber sie ist kein Allheilmittel. Natürlich nicht. Und natürlich verstehen wir die Welt nicht. Wie unbefriedigend. Und wie undankbar es ist, Wissenschaftler zu sein. Ach so. Irgendwie, ganz ehrlich: fade. Auch wie hier das Thema Mensch / Maschine abgehandelt wird: Neue Sachlichkeit lässt grüßen. Was interessant an dieser Passage ist, ist meiner Meinung nach die Verbindung, die hier zu Nexus‘ Geschichte hergestellt wird.:
Das musste Rilviero einräumen, konnte es allerdings nur im Stil alter Reiseberichte: Zugegeben, er bediene täglich rund um die Uhr wundersame Maschinen, er gehe durch eine Welt voll unerhörter Schönheiten, von der er zwar wisse, dass sie keine Scheibe sei, die ihm aber dennoch ein Rätsel bleibe, und er erwache jeden Morgen in einem Körper, bei dem er, so lange er gut funktioniere, nicht das Bedürfnis habe, ihn in allen Einzelheiten zu kennen, wenn aber etwas kaputt sei, sehe er sich gezwungen, ihn quasi blindlings anderen anzuvertrauen, da ihm dessen Anatomie vollkommen fremd sei.
Nexus jedoch schien die Grundmechanismen der Welt zu verstehen oder zumindest er glaubt sie verstanden zu haben: irgendwie machten sie Sinn, zumindest so wie er sie sah – jedoch schwieg er über sein Verständnis. Anders als Rilviero, der zu seinem Unverständnis steht.
….
Das Meer des Schlafes, die Wellen das Schlafes, schon ein schönes Bild, wenn auch cheesy.