5. Oktober 2014
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Ich mag ja diesen Text. Er ist wunderbar grotesk. Wie sollte man auch oft anders zum Rechtssystem stehen. Der in diesem Text Angeklagten scheint den Prozess der ihm hier gemacht wird als eine Art Scharade zu empfinden. Das Urteil über ihn wird seiner Ansicht nach lediglich durch die Müdigkeit der Geschworenen gefällt. Dabei wirkt es grotesk, dass der Angeklagte nicht mit ihrem Sprecher tauschen möchte, welcher die unangenehme Aufgabe hat, das Urteil über ihn verkünden zu müssen, muss er doch mit lebenslänglich rechnen. Während der Sprecher bei der Verkündigung mit sich ringen muss – ihm der Schreck im Gesicht steht – lässt sich keine emotionale Regung bei dem Angeklagten feststellen, auch nicht durch die Gewissheit dass bereits hinter verschlossenen Türen über sein Schicksal entschieden wurde.Während er vom gesamten Gerichtssaal beobachtet wird, scheint er doch nicht der Protagonist, sondern der eigentliche Beobachter zu sein. Ist es doch meist die einzige Fluchtmöglichkeit, selbst zum Beobachter zu werden, wenn alle Augenpaare auf dich gerichtet sind. Auf diese Weise verschafft man sich die Distanz um sein Überleben zu sichern oder sich schlichtweg nur nicht angesprochen zu fühlen. Unbeteiligte Betrachter haben auch vor Gericht das Recht zu schweigen, weiter zu beobachten, zu observieren um sich im äußersten Fall ihre Meinung im Stillen zu bilden, falls sie denn dem Drang einer Positionierung nachgeben wollen.
Tocotronic – Aus meiner Festung
– Um hier noch den Pflichtanteil literarischer Allgemeinbildung mit herein zu bringen: Na, woher kennen wir denn so absurde Gerichtsverhandlungen? Ja, richtig: Kafka. Der Prozess. – Hat ja jeder schon einmal gelesen, weil muss ja. Ansonsten kann man auch einfach so tun. Das war auch so ein groteskes Ding: “»Richtiges Auffassen einer Sache und Mißverstehn der gleichen Sache schließen einander nicht vollständig aus.«” (Habe ich natürlich aus Wikiquote kopiert.)
….Ich sah Rosetten von Gehirn auf den Gehsteig spritzen. Die Straße quasi Kathedrale. Die großen Orgeln gingen los.
Als Leser möchte man dem Angeklagten noch nichts anhängen. Böser Wille und keiner zur Kooperation? Hm, keine Ahnung, weiß ich doch nicht. Die Fakten die hier aufgezählt werden, sind aber wunderbar bildlich und so voller Stimmung. Sollte ich diese Straftat allein nach diesen Fakten beurteilen, würde ich wahrscheinlich sagen, dass ich mir das so ganz gut vorstellen kann, so stimmungs- und bildmäßig. Wie Arthouse-Splatter – falls dieses Genre überhaupt existiert? Ich habe gegoogelt. Sowas wie “blood+cathedral”. Ich habe das hier gefunden, so eine Art Gaming-Version:
Blood Knights is an Action RPG following the “age-old conflict between vampires and humans” as it escalates into open war. It combines spectacular battles with RPG elements – in single player or co-op.
Und auf der gleichen Seite wo es anscheinend um Underground-Gaming geht, habe ich auch weiteren nützlichen Input gefunden. Diesmal zum Thema “Blood splatter”. Könnte ja noch hilfreich sein:
The spatter of blood appears in video games for a number of reasons. It could be the aftermath of a bloody shootout between terrorist and a SWAT unit or the result of a devastating uppercut in a championship boxing match.
Genug davon, aber als Kunsthistoriker feiert man ja solche Stellen besonders derbe ab. Im Großen und Ganzen war das Morden also ein Fest fürs Auge. Was da gefeiert wurde, würde ich gern wissen, aber das erliest man sich vielleicht noch im Folgenden. Der Begriff “Rosette” stammt übrigens aus dem Lateinisch-Französischem und bezeichnet ein rundes Ornament in Blütenform. Und eine “Kathedrale” bezeichnet eine Bischofskirche. Glaubt man jedoch Peter Sarstedt, kann man den Begriff Kathedrale aber auch in die Sprachwelt der eigenen Befindlichkeiten integrieren:
Soundtrack gibts auch:
Peter Sarstedt – I am a cathedral
I am balanced well, you see,
I am a Cathedral locked in stain glass windows,
I am a Cathedral dimly lit.
….. weiter in der Assoziationskette:
Verrückt sind nur die anderen. Ihr Urteilsvermögen ist ausgeschaltet. Ist der Sprecher der Geschworenen mehr Opfer des Urteils – so ist der Anwalt der das Verrücktsein des Angeklagten bestätigt, das Ausgeschaltetsein dessen Urteilsvermögens, der Ausgeschaltete. Auch der Sachverständige wird vom Angeklagten kaum für Voll genommen. Wie absurd.
….
Der Verurteilte berichtet gegen Ende des Textes über den Komfort der Betten, die ihm zugewiesen wurden. Die Gesellschaft entscheidet per Gerichtsbeschluss über Bett und Schlafqualität. Wie man sich bettet oder die anderen dich betten, so ruhst du also auch – so heißt es ja auch schon seit Urzeiten. Einem verurteilten Mörder wird ein anderes Bett zugewiesen als einem Unzurechnungsfähigen. Die Unbescholtenen schlafen ja auch angeblich einen besseren Schlaf als die mit Dreck am Stecken. Da das Rechtssystem unberechenbar ist und vielleicht auch seinen Spaß daran hat, darf der Mensch auch gern mal das Bett wechseln, falls er denn nicht schon von selbst auf die Idee gekommen ist.
Carolin Beutel: Kommentar zu Vincent Message: Die Wächter #1
Ich mag ja diesen Text. Er ist wunderbar grotesk. Wie sollte man auch oft anders zum Rechtssystem stehen. Der in diesem Text Angeklagten scheint den Prozess der ihm hier gemacht wird als eine Art Scharade zu empfinden. Das Urteil über ihn wird seiner Ansicht nach lediglich durch die Müdigkeit der Geschworenen gefällt. Dabei wirkt es grotesk, dass der Angeklagte nicht mit ihrem Sprecher tauschen möchte, welcher die unangenehme Aufgabe hat, das Urteil über ihn verkünden zu müssen, muss er doch mit lebenslänglich rechnen. Während der Sprecher bei der Verkündigung mit sich ringen muss – ihm der Schreck im Gesicht steht – lässt sich keine emotionale Regung bei dem Angeklagten feststellen, auch nicht durch die Gewissheit dass bereits hinter verschlossenen Türen über sein Schicksal entschieden wurde.Während er vom gesamten Gerichtssaal beobachtet wird, scheint er doch nicht der Protagonist, sondern der eigentliche Beobachter zu sein. Ist es doch meist die einzige Fluchtmöglichkeit, selbst zum Beobachter zu werden, wenn alle Augenpaare auf dich gerichtet sind. Auf diese Weise verschafft man sich die Distanz um sein Überleben zu sichern oder sich schlichtweg nur nicht angesprochen zu fühlen. Unbeteiligte Betrachter haben auch vor Gericht das Recht zu schweigen, weiter zu beobachten, zu observieren um sich im äußersten Fall ihre Meinung im Stillen zu bilden, falls sie denn dem Drang einer Positionierung nachgeben wollen.
Tocotronic – Aus meiner Festung
– Um hier noch den Pflichtanteil literarischer Allgemeinbildung mit herein zu bringen: Na, woher kennen wir denn so absurde Gerichtsverhandlungen? Ja, richtig: Kafka. Der Prozess. – Hat ja jeder schon einmal gelesen, weil muss ja. Ansonsten kann man auch einfach so tun. Das war auch so ein groteskes Ding: “»Richtiges Auffassen einer Sache und Mißverstehn der gleichen Sache schließen einander nicht vollständig aus.«” (Habe ich natürlich aus Wikiquote kopiert.)
….Ich sah Rosetten von Gehirn auf den Gehsteig spritzen. Die Straße quasi Kathedrale. Die großen Orgeln gingen los.
Als Leser möchte man dem Angeklagten noch nichts anhängen. Böser Wille und keiner zur Kooperation? Hm, keine Ahnung, weiß ich doch nicht. Die Fakten die hier aufgezählt werden, sind aber wunderbar bildlich und so voller Stimmung. Sollte ich diese Straftat allein nach diesen Fakten beurteilen, würde ich wahrscheinlich sagen, dass ich mir das so ganz gut vorstellen kann, so stimmungs- und bildmäßig. Wie Arthouse-Splatter – falls dieses Genre überhaupt existiert? Ich habe gegoogelt. Sowas wie “blood+cathedral”. Ich habe das hier gefunden, so eine Art Gaming-Version:
Blood Knights is an Action RPG following the “age-old conflict between vampires and humans” as it escalates into open war. It combines spectacular battles with RPG elements – in single player or co-op.
Und auf der gleichen Seite wo es anscheinend um Underground-Gaming geht, habe ich auch weiteren nützlichen Input gefunden. Diesmal zum Thema “Blood splatter”. Könnte ja noch hilfreich sein:
The spatter of blood appears in video games for a number of reasons. It could be the aftermath of a bloody shootout between terrorist and a SWAT unit or the result of a devastating uppercut in a championship boxing match.
Genug davon, aber als Kunsthistoriker feiert man ja solche Stellen besonders derbe ab. Im Großen und Ganzen war das Morden also ein Fest fürs Auge. Was da gefeiert wurde, würde ich gern wissen, aber das erliest man sich vielleicht noch im Folgenden. Der Begriff “Rosette” stammt übrigens aus dem Lateinisch-Französischem und bezeichnet ein rundes Ornament in Blütenform. Und eine “Kathedrale” bezeichnet eine Bischofskirche. Glaubt man jedoch Peter Sarstedt, kann man den Begriff Kathedrale aber auch in die Sprachwelt der eigenen Befindlichkeiten integrieren:
Soundtrack gibts auch:
Peter Sarstedt – I am a cathedral
I am balanced well, you see,
I am a Cathedral locked in stain glass windows,
I am a Cathedral dimly lit.
….. weiter in der Assoziationskette:
Verrückt sind nur die anderen. Ihr Urteilsvermögen ist ausgeschaltet. Ist der Sprecher der Geschworenen mehr Opfer des Urteils – so ist der Anwalt der das Verrücktsein des Angeklagten bestätigt, das Ausgeschaltetsein dessen Urteilsvermögens, der Ausgeschaltete. Auch der Sachverständige wird vom Angeklagten kaum für Voll genommen. Wie absurd.
….
Der Verurteilte berichtet gegen Ende des Textes über den Komfort der Betten, die ihm zugewiesen wurden. Die Gesellschaft entscheidet per Gerichtsbeschluss über Bett und Schlafqualität. Wie man sich bettet oder die anderen dich betten, so ruhst du also auch – so heißt es ja auch schon seit Urzeiten. Einem verurteilten Mörder wird ein anderes Bett zugewiesen als einem Unzurechnungsfähigen. Die Unbescholtenen schlafen ja auch angeblich einen besseren Schlaf als die mit Dreck am Stecken. Da das Rechtssystem unberechenbar ist und vielleicht auch seinen Spaß daran hat, darf der Mensch auch gern mal das Bett wechseln, falls er denn nicht schon von selbst auf die Idee gekommen ist.