Originaltext
Ross Sutherland: Zangief

Was soll denn diese Spielzeugwelt schon wieder? Auch das Spiel mit Klischees wirkte im ersten Moment etwas zu vordergründig. Eine Teilbereich der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft bezeichnet sich als Imagologie und hat es sich zur Aufgabe gemacht, nationale Stereotypen zu untersuchen, insofern sie in literarischen Texten auftauchen (einen ersten Überblick gewährt ein Aufsatz von Michail I. Logvinov im philologischen Fachblatt Das Wort, http:// www.daad.ru/wort/ wort2003/Logvinov.Druck.pdf). In Gründungszeiten der Disziplin, Ende des 19. Jahrhunderts, wurde noch qua Untersuchung literarischer Texten nach dem Charakter von Nationen gefahndet; nationalistische Betrachtungsweise sei einem „supranationalen Standpunkt“ des Fachs gewichen. Wie sehr diese Betrachtungsweise der akademischen Einhegung verhaftet ist, das zeigt die Auswahl des Mottos von Zangief. Sutherland verwendet als Motto das Profil der Videogame-Figur des russischen Hünen Zangief aus der Zeit der Super Nintendo Entertainment Systeme, einer frühen Form der Spielekonsolen zum privaten Daddeln jenseits der Videogame-Automaten in Spielehallen. Es wird, kurz gesagt, das Bild des barbarischen Russen gezeichnet, der aus Übermut mit Bären ringt, und auf sehr einfache aber effektive Weise wird diese Propaganda entlarvt: Indem so ein Kampf mit Zangief zuende gedacht wird, und hineingerechnet wird, dass der Bär das Nationalsymbol Russlands ist. Die Frage, die das Gedicht stellt, lautet: Warum sollte ein patriotische Russe mit einem Bären ringen, der doch sein Land symbolisiert, und den er töten müsste, um den Kampf zu überleben? Wie würde er sich hinterher fühlen? Die Antwort darauf: Es wäre eine Tragödie. In diesem Gedicht, ist der Kalte Krieg, der 1991 mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion sein Ende fand, noch nicht zuende: „Er [Zangief] blutet, bis er diese Sterne wiedersieht.“

 

Zangief ist im Gedicht von Ross Sutherland ebenfalls metonymisch. Aber ist das Gedicht ein Spiel?

 

Eine erste Antwort darauf jenseits der vermuteten Ebene. verweist uns die Motivkette Kinderspielzeug und Medienkindheit, die mehrere Gedichte Sutherlands verbindet auf etwas viel elementareres und sehr trauriges, auf das schon Henri Bergson in Le rire (dt. Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung des Komischen, übersetzt von Roswitha Plancherel Walter. Hamburg 2011) hingewiesen hat: Der Verdrängung des ´Homo ludens´ und damit verbunden der Fähigkeit, verblüfft zu sein. Bergson zufolge, und ich glaube er meinte das völlig ernst, sterbe der Mensch, wenn er auf natürlichem Wege sterbe, daran, dass er nicht mehr lachen können, weil er die Initiationsszenen vergessen habe, Bergson macht diese Initiation an bestimmten Spielzeugen fest: Springteufel, Hampelmann, u.a.

 

Friedrich Schiller verband mit seinem Programm einer ästhetischen Erziehung die Maxime, dass der Mensch nur dort frei sei, wo er spiele – dabei konnte er nicht an Spielkonsolen denken und wohl auch nicht an Spielsucht und an das, was die Bewahrpädagogik noch im 20. Jahrhundert als negative Medienwirkungen mit aller Gewalt der Justiziabilität zuführen und zensieren wollte.

 

Vielleicht ist gerade die Poesie, die von Menschen mit Realitätssinn, den „wirklich praktischen Leuten“ (Christian Morgenstern, Palmström) gern als kindische Zeitverschwendung und Zeitvertreib für arme Schlucker bezeichnet wurde und wird, die beste Möglichkeit, sich die eigene Kindlichkeit und Empfindlichkeit zu bewahren. Ist das sentimentaler Quatsch, oder sogar Eskapismus? Elke Erb, die Grande Dame der experimentellen Lyrik hierzulande, dekretierte mit Blick auf ihr Buch mit dem Titel Sonanz (vielleicht aber mit Blick aufs gesamte Spätwerk) in einem Gespräch mit der Literaturkritikerin Dorothea von Törne: „Es ist Leben, konkret, nicht Spielerei!“ (http://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article122399491/Es-ist-Leben-konkret-nicht-Spielerei.html). Die Lektüre einiger Gedichte (Jean Claude Van Damme, Ewige Leben, Zangief) von Ross Sutherland hat mich in meiner Abneigung gegen dieses Erb’sche Verdikt bestärkt – aller meiner Sympathie ihrem Werk und sogar ihrer Persönlichkeit zum Trotz. Ich empfinde es, doch, als ganz und gar entlastend, dass Poesie keinen Berufszweig bezeichnet – und per se eine Zugehörigkeit zum Establishment ausschließt; das schließt auch sämtliche Selbstverteidigungsmaßnahmen ein. Eine solche Herangehensweise spart immens Energie und Würde. Ich glaube auch, dass es der Integrität eines Künstlers durchaus dienlich ist, Menschen zum Schreiben zu bringen und sie zur Kreativität zu ermutigen, wie Ross Sutherland das tut (http://www.rosssutherland. co.uk/main/education). Man muss dazu nicht ranschmeißerisch und schema-f-mäßig vorgehen wie – Bob Ross mit seiner Sendung The Joy of Painting.

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