Originaltext
Ross Sutherland: Infinite Lives (Try, try, try again)

Eine Fortschreibung des Gedichts Jean Claude Van Damme, das ebenfalls an Medienkindheit andockte. Kindliche Allmachtsphantasien werden persifliert und mit einem realen Unfall, einem Autounfall gegengeschnitten. Es wird nicht klar, und soll auch unklar bleiben, ob dieser Autounfall, bei dem sich das Opfer im Flug nach draußen mit einem in ein Glas ausgeschenktes Bier vergleicht, das, in Westernmanier, über eine Theke fliegt, bis es entweder über den Rand der Theke hinausschieß, auf den Boden fällt und zerbricht, oder von der Hand des durstigen Kunden unendlich lässig aufgefangen und zu Munde geführt wird. Andere Namen verweisen ebenfalls in Richtung Kindheit: Das Yorkie Osterei (das Überraschungsei ist kein echtes Pendant dazu), die Großmutter, Ferienaufenthalte mit den Eltern auf französischen Campingplätzen.

 

Eine durchaus mögliche Lesart ist die einer herbeigewünschten Katastrophe, die dann tatsächlich eingetreten ist; ein schrecklicher Autounfall, die für die Sprechinstanz beinahe tödlich endete, auch das abrupte Ende eines Kindheit; ein Trauma, dass auch der Suff nicht beheben konnte.

 

Der Kontrast von wirklicher Welt und inszenierter Welt stellt auch hier das Gerüst des Gedichts bereit. Erneut haben wir das Formzitat, die Pseudodistichen, wie schon in eine zweite Meinung.

Was mich an Ewige Leben wie auch zuvor an Eine zweite Meinung unmittelbar anspricht ist der Versuch, die Leserin und den Leser an einer traumatischen Erfahrung teilhaben zu lassen, aber eben nicht in Form eines larmoyanten und emotional erpresserischen Krisentexts mit allerlei zusammengetragenen erschütternden Details. Ich denke auch ein Leser, dem explizite Traumen in der Kindheit, Jugend erspart blieben, wird sich an kindliche Allmachtsvorstellungen erinnern – und wie sie jäh, oft genug banal, endeten. Insofern ist Empathie der sprechenden Instanz gegenüber in jedem Fall möglich. Der Pointe „Endlich hab ich’s raus“ wird ein Leser typischerweise mit zwei Reaktionen begegnen: „Schön für dich!“ oder „Wer spricht da? Was ist da los, verdammt?“

 

Meine persönliche Erfahrung sagt mir, dass die letzte Frage schon das Terrain der Empathie betritt und nicht nur kognitiv gesteuert ist und indolent und schnöde nach der Verständlichkeit von Kunst fragt, und sie damit einfordert.

 

Erinnerungsfetzen, die in eine autobiographische Rhapsodie überführt werden, dass hat – sollte jemand fragen – übrigens etwas waschecht Lyrisches. Die Tonlage ist wie diejenige von Eine zweite Meinung elegisch. Die ´nature morte´ erinnert an barocke Vanitas-Symbole, die ein Echo in den Fleurs du mal von Charles Baudelaire fanden, genauso wie in den Illuminations des poetischen Wunderkinds Artur Rimbaud; Sutherland bezeichnet sie als „französische Campingsplätze“, das ist viel weniger despektierlich als es zunächst scheint.

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