bohéme ghetto gouvernementalité tram 83 l‘arriere pays exil
fußnoten zu tram83
exil de malestream
voix se brisa en split screen
jusqu’à la reine chaste brise envie
exil dans la tourmente
forfaits à Sodome
dans la situation qui me submerge
regardez-moi
je suis un homme pâle qui danse
je suis différent des autres
kurz hätte ich es fast wieder geglaubt, für einen moment war ich wieder davon überzeugt, dass eine gegenwelt möglich ist, dass es sie hier wird gegeben haben, dass sie begehbar ist, am ende der welt, mit dem gesicht zum meer und dem nackten arsch zur restlichen welt hin, ein l‘arrière-pays, ein hinterland voll von jazz, tanz, aussteigern, drogen, exzess und sex allüberall und vor allem für immer.
Ou musiciens par inadvertance ou prostituées du troisième âge ou prestidigitateurs ou pasteurs des églises de réveil ou étudiants aux allures de mécano ou médecins diagnostiquant dans les boîtes de nuit ou jeunes journalistes déjà à la retraite ou travestis ou bradeurs des chaussures de second pied ou amateurs de films pornos ou bandits de grand chemin ou proxénètes ou avocats radiés du barreau ou hommes à tout faire ou ex-transsexuels ou trafiquants d’armes ou pirates de mer ou demandeurs d’asile politique ou escrocs en bande organisée ou archéologues ou chasseurs de prime à la manque ou aventuriers des temps modernes ou explorateurs à la recherche d’une civilisation perdue
wenn man den begriff bohème durch die google bilder suche schickt, weiß man allerdings schnell wieder, die bohème ist recht weiß und eigentlich bieder. auf meinem rechner, hier in der volkswagen bibliothek in berlin charlottenburg, zeigt der erste hit eine junge frau mit einem unterlippenpiercing, ihr rücken der kamera zugekehrt, ihr mund offen, auf dem rechten schulterblatt ein tattoo, ein peacezeichen, sie sitzt auf einem jungen nackten mann, der auf dem boden liegt zwischen flur und badezimmer, er ist auch nackt und man kann davon ausgehen, dass sie gerade auf ihm reitet, wie man sagt, während er, mit dem kopf halb im badezimmer liegend, hinten sieht man noch die kloschüssel, von einer anderen nackten frau geküsst wird.
on top des bilds ein schriftzug, BOHÈME KIDS, und on bottom, die ankündigung DONNERSTAG. 15. DEZEMBER 2011. 23 UHR WAAGENBAU. MAX BRAUER ALLEE 204. HAMBURG.
“Oh, pretty personal”, meint sie erstaunt
Nein, es ist nicht grad ein Pamphlet
Sie sieht mich an und sagt:
“Du hast doch immer geglaubt,
Dass es um mehr als die eigenen paar problems geht.”
Ja, aber exakt genau, genau das ist der Punkt,
Dass all uns’re problems wie unsere ganz eigenen paar scheinen
Die ausstaffierten leeren Tage voller Inhalt, ohne Grund
Und die Stunden in den Zimmern,
In denen wir einsam jemand nachweinen
Weißt du, ich bin mir langsam sicher und das ist gar nicht personal,
Die kommende Gemeinschaft liegt hinter unseren Depressionen,
Denn was und wie man uns kaputt macht, ist auch etwas, das uns eint,
Es sind die Ränder einer Zone, die wir im Stillen alle bewohnen
Aber Achtung, Achtung, Achtung, vor der allzu schnellen Heilung,
Denn das, was uns zerstört, will uns gleich schon reparieren.
Unser Schmerz, der darf nicht abfallen,
Allein er fällt mit dieser Ordnung,
Die sich verschwört, uns aufzupäppeln, uns gesund zu amputieren
Und doch fallen wir immer wieder alle, alle darauf rein,
Auf die Pillen, auf den Doktor, auf die Klinik und die Liebe
Man ruft Geister hier ins Leben,
Die Lebendigen, die gräbt man ein
Und schimpft sie Terroristen, Deserteure, nichtsnutzige Tagediebe
Doch in den besetzten Zonen, in denen wir unser Leben fristen,
Werden die Giftler Partisanen, die Suizidanten Anarchisten
Siehst du nicht die fremden Mächte,
Die in deinem Körper thronen?
Was ist mit dir,
Mit deinem Ich, bekommt es nicht überall Risse?
Doch das ist gut so, denn du bist nichts, außer tausend von Versionen
Du bist wie, wann und wo in welcher Stimmung, welcher Kulisse
Wenn du unvermutet losheulst, kannst du spüren, dass was nicht stimmt
Doch zieh’ nicht die falsche Schlüsse,
Mach’ dir erstmal keine Sorgen, denn nicht du bist in der Krise, sondern die Form, die man dir aufzwingt,
Atomisierte Einsamkeiten im Westen, Osten, Süden, Norden
Bis zum Rand voll mit Strategien rennst du als Fremder durch die Welt,
Und dass du nichts dagegen tust,
Ist eine dieser Strategien
Du stammelst was von Pazifismus und lässt dich ficken für ein Handgeld…
Und du hast nicht einmal geschrien
Von mir aus sollen sie Bomben hintragen zu der grauslichen Bagage
Ich werd’ nicht daran denken, eine Träne zu zerdrücken,
Nicht für Angela und ganz sicher nicht für Nicolas
Ich werd’ viel eher in den Knast Bonbonniere schicken
Du siehst, im großen und ganzen ist alles beim alten,
Nur dass ich finde, es wird Zeit, einmal aufzuhören, gilt es doch–
wahrscheinlich ist bohème auch einfach nicht der richtige begriff, vielleicht ist der sogar zu sauber, vielleicht auch zu ausgebleicht. weichgewaschen. man sieht die selbstzerstörung, die einsamkeit, den zynismus nicht mehr, der dazu nötig ist, für eine radikal gesetzte gegenwelt, eine l‘arrière-pays die den nackten arsch zum himmel streckt. wahrscheinlich habe ich das wieder falsch gelesen, denke ich mir, thomas, du hast wieder alles ganz falsch gelesen, hast alles wieder nicht richtig verstanden, das steht doch da gar nicht, eine bohème, die tram 83, das ist doch ganz offensichtlich eher ein trauriger, unfreier ort, bohème ist doch ein lebensstil innerhalb eines weißen, bürgerlichen spektrums, die tram 83 ist doch als l‘arrière-pays eher eine soziale plastik der gouvernementalité. während ein armes land ausgebeutet und zerstört wird, feiern irgendwo am rand noch welche in den untergang hinein.
das ist doch ein ghetto. das ist doch ein installierter nicht-ort. keine bohème. das ist doch eine soziale installation der gouvernementalité. du mit deiner scheinromantisierten, entpolitisierten, konsumorientierten wahrnehmung in BERLIN NEUKÖLLN siehst schon wieder die bohéme wo andere groß ghetto draufschreiben. eigentlich will ich gar nichts sehen, denke ich mir dann, schicke den begriff ghetto durch die google bilder suche und bin wenig überrascht, weil das ghetto natürlich vor allem schwarz ist. das wollte ich jetzt auch nicht sehen eigentlich.
There are fewer more distressing sights than that
Of an Englishman in a baseball cap
And we’ll die in the class we were born
That’s a class of our own my love
A class of our own my love
man braucht eigene regeln. sagt auch foucault. und foucault hat viel gesagt, aber seltsamerweise wenig über ghettos.
in diesem sinne: vielleicht ist die bohéme des 21. jahrhunderts das ghetto. ich und fiston mwanza rufen es jetzt aus, wir pfropfen in der tram 83 der bohéme das ghetto auf. wer jetzt bohéme sagt, meint ghetto und umgekehrt, wer ghetto will muss bohéme, wer bohéme will, wird ghetto. wir möchten das ghetto erneut besetzen, neu besetzen, möchte sagen, ich bin ein bewohner des ghettos, mein slum spontaner herzlichkeit steht jeden tag jeder besucherin und jedem besucher offen, mein ghetto ist mein castle, mein ghetto, das ist zunächst, etwas das gewachsen ist, mein ghetto ist, was mich zieht, wiederholung als prinzip. vielleicht haben im ghetto auch die marginalisierten, die kleinen sprachen, wie deleuze sagt, eher platz. gerade im ghetto. wo sonst? das ghetto ist der keller der bohéme, wo die bohéme der bürgerliche alptraum war, ist das ghetto der neoliberale alptraum, der ort, wo all die fetischisierten überreste einer fortschrittsvergeilten wunderwelt aufschlagen und ihr ganz anderes markieren. der exzess. genau das, was der neoliberalismus vorgibt zu sein, die entgrenzung, was er aber nicht hinbekommt, weil er sonst sich selbst zerstören müsste. also entgrenzt er sich selbst bis an den rand der gesellschaft, drängt die gesellschaft zurück, über ihre grenzen hinaus, um sich selbst zu entgrenzen und dort draußen, an den rändern, den passagen, den zonen da ist dann das ghetto, mein ghetto ist mein bereich, denn ich bin nicht einer von euch.
das ghetto steht und fällt mit dem neoliberalismus. vielleicht also in 150 jahren: die neuerfindung des ghettos. ein neues l‘arriere pays. und vielleicht ist die tram 83 auch deshalb dort zu finden. nicht in den zentren, nicht in ihrer peripherie, sondern im totalen abseits.
ich denke jetzt an ein bild, dessen name mir nicht einfällt. eine alte kneipe in einer alten straßenbahn, verrostet, die irgendwie an der letzten klippe der welt steht, wo hunderte kilometer weit keine straßenbahn fährt. und keiner weiß, wie diese straßenbahn dorthin gekommen ist. es ist neblig, immer und dunkel, und rundherum nichts. klippen, ausgestorbene tierarten die durch den nebel schleichen und in der kneipe ein leuchten.
vielleicht ist das ghetto auch ständig bedroht, wie die bohéme zu ihrem verwaschenen anderen zu werden, zu einer neoliberalen enklave, so wie hier. gibt es eine neoliberale architektur? als bauweise – oder fällt das einfach unter den rettungsschirm: postmoderne. mit allen wucherungen, die dazugehören?
aber das ghetto weiß natürlich um die macht von exklusivität, es eignet sich die regeln der exklusivität an, es ist nicht einfach für alle zugänglich. es ist nicht die fiktion der freien welt, die mir der neoliberalismus ständig vorbetet.
Sur la devanture du Tram, un grand panneau : «Déconseillé aux pauvres, minables, incirconcis, historiens, archéologues, lâches, psychologues, radins, imbéciles, insolvables et vous autres qui avez la guigne d’avoir moins de quatorze ans, sans oublier les élus de la douzième maison, les creuseurs désargentés, les étudiants sadiques, les politiciens de la Deuxième République, les historiens, les donneurs de leçon, les mouchards…»
foucault wäre jetzt nicht reingekommen „Déconseillé aux archéologues, les historiens“ ich wahrscheinlich auch nicht, eigentlich keiner. die regeln werden im ghetto aufgestellt um gebrochen zu werden, um im riss etwas durchscheinen zu sehen, das bislang nicht gesehen wurde.
Livin’ off borrowed time, the clock tick faster
That’d be the hour they knock the slick blaster
Dick Dastardly and Muttley with sick laughter
A gun fight and they come to cut the mixmaster
I-C-E cold, nice to be old
Y2G steed twice to threefold
He sold scrolls, lo and behold
Know who’s the illest ever like the greatest story told
Keep your glory, gold and glitter
For have half of his niggaz’ll take him out the picture
The other half is rich and don’t mean shit-ta
Villain a mixture between both with a twist of liquor
Chase it with more beer, taste it like truth or dare
When he have the mic it’s like the place get like: ‘Ah yeah!’
It’s like they know what’s ’bout to happen
Just keep ya eye out, like ‘aye, aye captain’
Is he still a fly guy clappin’ if nobody ain’t hear it
And can they testify from inner spirit
In living, the true gods
Givin’ y’all nothing but the lick like two broads
Got more lyrics than the church got ‘Ooh Lords’
And he hold the mic and your attention like two swords
Or even one with two blades on it
Hey you, don’t touch the mic like it’s AIDS on it
It’s like the end to the means
Fucked type of message that sends to the fiends
That’s why he brings his own needles
And get more cheese than Doritos, Cheetos or Fritos..
Slip like Freudian
Your first and last step to playin’ yourself like accordion
When he had the mic you don’t go next
Leaving pussy cats like wild hoes need Kotex
Exercise index won’t need Boflex
And won’t take the one with no skinny legs like Joe Tex
und was für die bohéme der selbstmord, die selbstvernichtung, die körperliche und seelische zerstörung, das ist für das ghetto vielleicht das exil, die ortlosigkeit, die anonymität, das verschwinden.
mousse et tissu se casseront
quelle promesse armure de corps mal
murs l’europe vont tomber
au anémones et des coraux
différences répétées
pour asiles sans frontières
nous avons des cibles faciles
doux exil
© thomas köck
Performances
DI, 18.11. | Lettrétage
Ross Sutherland & Simone Kornappel
DO, 20.11. | Lettrétage
Vincent Message & Gerhild Steinbuch
DI, 25.11. | Lettrétage
Fiston Mwanza Mujila & Jörg Albrecht
DO, 27.11. | Lettrétage
Christian Prigent & Christian Filips & Aurélie Maurin
Ross Sutherland & Simone Kornappel
DO, 20.11. | Lettrétage
Vincent Message & Gerhild Steinbuch
DI, 25.11. | Lettrétage
Fiston Mwanza Mujila & Jörg Albrecht
DO, 27.11. | Lettrétage
Christian Prigent & Christian Filips & Aurélie Maurin
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