Foto: (c) Gäel Turine
Ich lernte Fiston Mwanza Mujila an einem Septemberabend des Jahres 2010 in Graz kennen, als er mir, wie es Brauch ist, das Zepter des Grazer Stadtschreibers übergab, dessen Amt er in den zuvorliegenden zwölf Monaten innegehabt hatte, und das er mir nun weiterreichte, und zwar mit der Bemerkung, seine Großmutter daheim, in der Demokratischen Republik Kongo, hätte ihm am Telefon gesagt, daß es sich für so ein Ereignis gehöre, ein großes Geschenk zu machen, sogar ein bestimmtes, ja, es könne bei diesem Anlaß eigentlich nur eines sein: eine Ziege. Obwohl die in den Rosengarten oben auf dem Grazer Schloßberg, wo der Stadtschreiber seine Wohnung hat, perfekt gepaßt hätte, schenkte Fiston mir lieber eine kleine, aus Holz geschnitzte Ziege, die oben auf dem Berg ins Regal paßte, neben die paar Bücher, die ich für das Jahr mitgebracht hatte, das ich nun dort verbringen würde.
Und dann, an ebenjenem Abend, hörte ich Fiston zum ersten Mal singen. Ja. Denn er liest nicht einfach. Er singt und schreit, rappt und wütet, er spielt seine Texte, als wären sie eine Partitur, oder vielleicht stimmt das nicht, vielmehr stellt er sich hin und läßt sich spielen, als wäre er selbst diese groß angelegte Symphonie, in der die Instrumente die Steine auf der Straße sind, der Staub, das Wellblech, die weggeschnippte Kippe, der Speichel, das Klatschen einer Ohrfeige, das Knistern der Haare eines Schnurrbarts, drei Jeeps, die durch Schlaglöcher fahren, drei Kinderstimmen, die sich streiten, drei Kofferradios, aus denen ein Jazz-Stück dringt, aber nicht ganz durchdringt – eine Symphonie, die immer wieder anders gespielt werden muß, bis sie am Ende ist, und das Ende ist der Anfang, und „au commencement était la pierre et la pierre provoqua la possession et la possession la ruée“.
Fiston Mwanza Mujila schreibt über das Ohr, für das Ohr. Er wollte Saxophonist werden, doch nirgendwo in seiner Heimat hätte er das lernen können, also blieben ihm die Worte. Er schreibt Gedichte. Er schreibt Prosatexte, unter anderem den Roman Tram 83. Und er schreibt auch Texte für die Bühne, in denen zum Beispiel Marxismus und Religion aufeinanderclashen und auf die treffen, die ihnen zum Opfer fielen, und die aus dem Jenseits ihre Kämpfe weiterkämpfen.
Überhaupt ist die Welt, die Fiston beschreibt, eine gewaltvolle. Die Gewalt steckt dabei in der Sprache, mit der die Dinge beschrieben werden, in der Brutalität verschiedener Stimmen, die drohen und fluchen und wüten und einander durchkreuzen und anheizen. Es ist immer auch eine kolonialisierte Welt, die sich nicht ändern wird, allein, weil es die Körper sind, die versklavt wurden und werden, und weil am Anfang von allem immer die Verteilung von Besitz steht, und der Besitz löst einen Ansturm aus auf die Teile der Welt, die besitzen.
Was hoffen läßt, ist der Moment, in dem der Ansturm am stärksten ist, und in dem Fistons Sprache in etwas durchbricht, das jenseits dieser brutalen Einzelkämpfe liegt. Dann auf einmal ist da etwas jenseits der Tragödie, die uns teilt. Eine Zärtlichkeit, die uns die Tragödie teilen läßt. Und das dort, wo Sprache und Körper auseinanderfallen und so endlich wieder miteinander sind.
[…] . Colonies and tenderness – Fiston Mwanza Mujila schreibt die Symphonie, die er ist […]