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kurze Texte zu den Gedichten von Ross Sutherland.

Text 7, zu “Jean-Claude van Damme”

Konstantin Ames schreibt hier. Kristoffer Cornils hier.

alle Texte von Stefan Mesch: [1. nude III] [2. Zangief] [3. try try try] [4. Branson] [5. Röntgen] [6. Experiment] [7. van Damme]

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erste Idee: seit zwei Stunden suche ich 80er- und 90er-Trash, in dem die Freiheitsstatue beschädigt oder umkämpft wird. Kristoffer Cornils vermutet, dass Ross Sutherland hier eine Szene aus Roland Emmerichs “Universal Soldier” zitiert… aber ich glaube, er hat sich vergoogelt (“van Damme” + “Statue of Liberty” = Text über dieses Mahnmal in Manhattan). ich selbst denke bei Ross Sutherlands Pastiche zuerst an die mörderschlechte, unbedingt sehenswerte Intro-Sequenz des “G.I. Joe”-Trickfilms von 1987. 

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“Terminator” (eher 2 als 1), “Stirb Langsam” (eher 3 als 1; auf keinen Fall 2), “Escape from New York” waren wichtige Actionfilme für mich Mitte der 90er, zwischen 12 und 14. Jean-Claude van Damme aber sah ich nur in “Street Fighter” (ein Kreis schließt sich) und, aktueller, in einem viralen Video (auch hier: unbedingt öffnen!), in dem er mich halb anekelt, halb amüsiert. im Frühling las ich eine lange Reportage über die verpfuschten “Street Fighter”-Dreharbeiten in Thailand… und seitdem seitdem sehe ich van Damme weniger als den prototypischen (Eurotrash-)Helden der Direct-to-Video-Filme der 80er und 90er… sondern als den prototypischen, gut gelaunten, hedonistischen (Eurotrash-)Videotheken-Besucher. Schmierig, aber charmant:
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“Years later, Jean-Claude Van Damme admitted he had a serious drug problem while filming Street Fighter: The Movie. He also confessed to having an extramarital affair with co-star Kylie Minogue.
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From the actor’s August 2012 interview with The Guardian:
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“Yes,” says Van Damme, “Okay. Yes, yes, yes. It happened. I was in Thailand, we had an affair. Sweet kiss, beautiful lovemaking. It would be abnormal not to have had an affair, she’s so beautiful and she was there in front of me every day with a beautiful smile, simpatico, so charming, she wasn’t acting like a big star. I knew Thailand very well, so I showed her my Thailand. She’s a great lady.”‘

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zweite Idee: heute also kann ich Jean-Claude van Damme mit etwas gutem Willen als schrägen Vogel lesen, naiven Horndog, Loveable Jock. vor 20 Jahren aber, in der Unterstufe, standen solche Helden, Sportskanonen, Strahlemänner auf der Gegenseite: ein Schlumpf wie Schlaubi kriegt regelmäßig eins auf Maul, und in einem van-Damme-, Chuck-Norris-, Steven-Seagal- oder Bud-Spencer-Film hätte ich nur Opfer, Freak oder Widerling sein dürfen, Kinder wie ich werden Scar statt Simba, Jaffar statt Aladdin, Mel Gibson lässt in “Braveheart” einen Schwulen aus dem Fenster werfen… mit 12 versteht ein Kinderpublikum, welche Menschen in welcher Geschichte erwünscht / willkommen sind.

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wer hätte ich sein dürfen… im Erzählraum eines van-Damme-Films? höchstens der steife, blasse, tuntig-oder-sonst-irgendwie-sexuell-vermurkste Bösewicht? oder sein hoffnungsloser Sohn?

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dritte Idee: Ross Sutherlands Gedicht trifft bei mir einen Nerv. und funktioniert – auch über die bloße Grundidee hinaus – hervorragend: Atomsprengköpfe, eine Wand aus Fernsehschirmen, Honduras, Rom, Washington, Peru, geheime Bösewicht-Tattoos, böse Agenten mit bös verbrauchter Haut (“fahl”, wie Konstantin Ames übersetzt? oder eher teigig, gelbstichig? sind nicht die meisten solcher Handlanger nicht-weiß?), eine Privatinsel, prächtige Uniformen, viel zu rotes Blut… all diese Bilder und Motive sind so perfekt klischiert und abgegriffen, ich sehe den Film vor mir, in all seiner Pracht, gedreht zwischen 1987 und 93.

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besonders schön: Tattoos auf der Arschbacke? van Damme, der die Wachleute völlig nackt auszieht? warum sind solche Filme oft offen homophob – und bauen dann solche Kracher ein?

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vierte Idee: mir gefällt die Lesart, der Kunstgriff, Ross Sutherlands Idee, dass das Kind eines erfolglosen, vernichtend geschlagenen Bösewichts den Triumph Jean-Claude van Dammes auf Video sehen kann, egal, ob auf Überwachungs-Tapes aus dem geheimen Hauptquartier oder eben als tatsächlicher Hollywood-Trashfilm (weil der Vater nur einen Bösewicht spielt? weil der Vater ein realer Terrorist war, dessen Geschichte in einem Jean-Claude-van-Damme-Projekt nacherzählt wurde? weil ein profanes Kind seinen profanen Vater wieder erkennt – in der Sorte Verlierer und Terror-Strippenzieher, die Video-Helden wie Jean-Claude van Damme jedes Mal besiegen?) egal: Ross Sutherlands Gedicht funktioniert auf all diesen Ebenen. mehr noch: es funktioniert besonders gut, weil es all diese Ebenen, Lesarten zulässt.

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fünfte Idee: Fernsehen vs. das reale Leben. sich selbst auf Video sehen, sich selbst in Video-Figuren spiegeln, die eigene Geschichte in Popkultur erzählt bekommen, platte Helden, platte Feinde, platte Hollywood-Triumphe als Selbstbestätigung Amerikas, die Frage, ob der Bildschirm “die Wahrheit” zeigt und die grelle, künstliche Inszenierung “mehr Wahrheit” festhalten kann als das graue, tägliche Leben… das alles sind recht langweilig bekannte Gemeinschaftskunde- und Medienpädagogik-Fragen, und ich bin unsicher, ob Ross Sutherland viel Kluges, Neues beizutragen hat. trotzdem – auch, wenn die Fragen bekannt und die Klischeebilder abgegriffen sind: “Jean-Claude van Damme” hat mich von allen sieben hier veröffentlichten Arbeiten Ross Sutherlands am meisten überzeugt. gefällt mir!

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gern gelesen: unbedingt, ja! ich wünschte, ich würde Jean-Claude van Damme besser kennen und könnte beurteilen, ob der Text zu ihm passt… oder ob das selbe Gedicht auch “Dolph Lundgren” hätte heißen können.

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schlechtestes Wort: “There are reports of a life-sign inside the perimeter.” das “there are” wirkt clunky, unbeholfen. wer übermittelt dem Vater diese Nachricht?

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später / danach:

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“Runaways” erzählt von sechs Jugendlichen aus dem Marvel-Universum, die verstehen, dass ihre Eltern Superschurken sind. ich las letzten Herbst die ersten sechs von 52 Ausgaben… aber war nicht besonders überzeugt / interessiert.

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ein Übersetzungs-Tadel: ich glaube, “Dad puts a bullet through his general’s eye” soll heißen: “Papa verpasst / schießt seinem General eine Kugel zwischen die Augen”, nicht “Papa schiebt eine Kugel durch sein Generalsauge.”

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Musik-Assoziationen? ich denke an Bon Jovis platt-sympathische 90er-Jahre-Medienkritik “Real Life”: ein Song, der ähnliche Fragen stellt.

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und: fast eine Woche lang dachte ich, die letzte Ziele wäre “it’s not OK to lose”. hätte mir besser gefallen – und den Erzähler interessanter gemacht.

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weiter mit: meinem Abschluss-Statement, auf Englisch. erscheint am Dienstag, 23. September.

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Stefan Mesch, geboren 1983, schreibt für ZEIT Online und den Berliner Tagesspiegel. Er studierte Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim, war Herausgeber von BELLA triste und Mitveranstalter des Literaturfestivals PROSANOVA und arbeitet an seinem ersten Roman, “Zimmer voller Freunde”. Als Liveblogger begleitete er u.a. das lit.futur-Festival 2013 und den Berliner Open Mike 2012. Buchtipps, Essays, Interviews und Texte auch auf seinem Blog… und erschreckend oft bei Facebook (Freund werden?).

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