Foto: (c) gezett.de

Willkommen in der analogen Welt…

Nach einer mehrmonatigen Laufzeit des Projektes ¿Comment! Lesen ist schreiben ist lesen verlagerte sich am gestrigen Abend der Schauplatz Comment-Blog in das Literaturhaus lettrétage in Berlin-Kreuberg. Die meisten Teilnehmer_innen begegneten sich nun erstmalig außerhalb der digitalen Welt. Aus dem Namen, den man immer wieder in den Kommentaren gelesen hatte, wurde eine Person. Aus Kommentarantworten wurden Gespräche.

Für die Auftaktveranstaltung des Projektes gestaltete Kuratorin Simone Kornappel eine Rauminstallation, die den Übergang von der digitalen in die analoge Welt gestalterisch aufgriff. Betrat man die lettrétage, fand man sich in einer Zwischenwelt aus Text, Wort und Materialität wieder. Die Wände waren gefüllt mit tausenden Post-Its, sowohl handgeschrieben als auch gedruckt in verschiedenen Schrifttypen.

Auf dem Boden lagen zu Haufen geschichtete zerknüllte Papierberge. Gelöschte Posts?
An zwei Leinwänden waren jeweils eine live Twitter-Session und eine Diashow der im Projekt entstandenen Fotografien und Zeichnungen von Schülerinnen und Schülern abgespielt. Zu Beginn der Performance wurden Audioaufnahmen, ebenso Ergebnisse des Projekts, eingespielt.

 

Post-It: Hypertext? What is this? I’ve seen it on tumblr.

Neben dem schottischen Dichter Ross Sutherland saß auf der Bühne der Schriftsteller Konstantin Ames, der Sutherlands Gedichte für comment übersetzt hat. Im ersten Teil der Lesung lasen beide nacheinander ihre Versionen von Jean-Claude von Damme, Experiment to Determine the Existence of Love sowie Zangief. Aufmerksam hörte Sutherland dabei den deutschen Versionen seiner Gedichte  zu, schmunzelte an einzelnen Passagen. Sympathisch löste er zudem vor dem Vortrag einige Fragen auf, die sich die Schüler_innen in ihren Kommentaren zu seinen Gedichten gestellt hatten. Jean-Claude von Damme sei entgegen einiger Annahmen kein Gedicht über Sutherlands Vater, sondern durch den Film Streetfighter inspiriert. Er erkundigte sich auch, wer die Videospielreihe eigentlich kenne. Ein paar Arme hoben sich.

Nude IIIA second opinion, Infinite Lives (Try, try, try again) wurden zudem um zwei Google-Translations-Versionen, auch hier wieder deutsch und englisch, ergänzt. Simone Kornappel und Catherine Hales haben in mehreren Schritten Sutherlands Gedichte von Google “manipulieren” lassen. Die Ergebnisse erlauben an vielen Stellen die Zuordnung zu ihrem Original. Begeisterung lösen jedoch vor allem jene Passagen aus, in denen Google unkonventionelle, innovative Bedeutungsräume schuf:

Und das ist nur, weil Gott die Kulturerbe-Forschung tröstet. (Richard Branson, Sutherland & Google)

 

Poetry is what gets lost in translation…

… hat Robert Frost einmal gesagt. Wenn man Lyrik wie ein barockes Gemälde betrachten möchte, kann man Frost nur zustimmen. Jeder Versuch, es abzuzeichnen, erscheint im Vergleich als billige Kopie. Doch wird der Raum um “das Gedicht” geöffnet, werden Übersetzungen als Interpretationen betrachtet, die Gedanken der Lesenden als Erweiterung des Gedichts; wenn begonnen wird, Texte weniger statisch und mehr dynamisch zu denken, so wird dieser neu-entstandene Text-Raum unendlich weit.

Im Projekt ¿Comment!   sind Sutherlands’ Gedichte gewissermaßen gewachsen. Zunächst digital. Und gestern Abend war es möglich, ihnen live beim Wachsen zuzuschauen.

Nach dem Ende der Lesung wurde von Frau Kornappel zum anschließenden Gespräch eingeladen. Sehr schade, dass die Anwesenden so schnell auseinander stoben. Ein paar mutige Schülerinnen sammelten sich jedoch nach der Lesung um Dichter Ross Sutherland. Was da wohl gefragt wurde?

 

von Susanne Klimroth

1 Kommentar

  • Konstantin Ames

    Es war schon genug Zeit, der Einladung zum Gespräch von Simone (aka “Frau Kuratorin”) zu folgen. Auseinandergestoben ist nichts und niemand. Vielleicht hat auch einfach nur jemand Gesichter verwechselt oder nicht erkannt oder hatte eine lange Leitung. Irgendsowas.

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