Simone Kornappel wurde 1978 in Bonn geboren. Sie ist Mitherausgeberin der Randnummer Literaturhefte.

Ihr Debütband raumanzug ist dezeit in Arbeit und erscheint demnächst bei Luxbooks, Wiesbaden.

 

 

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Michael Braun
Kunst und Körper (Kritik zu raumanzug)

Wenn sich jemand heimlich, still und leise, unauffällig, kaum vernehmbar, ja demonstrativ sang- und klanglos durch die Welt bewegt, tritt eine besondere Stille ein. Nicht einmal der geringste Laut ist zu hören, kein Mucks. „Liegt man doch jahraus, jahrein / mäuschenstill im Kämmerlein“, heißt es in einem „Traumbild“ Heinrich Heines aus seinem großartigen „Buch der Lieder“.


Gäbe es ein „Mucksmäuschen“, ein Wesen der Geräuschlosigkeit, so müsste es das Artikulieren vermeiden und den Atem anhalten, um sich als Opponent des stetig anschwellenden Lärms zu exponieren, der uns umgibt. Das „Mucksmäuschen“, so scheint es, ist ein diskreter Stilleproduzent, stets darauf bedacht, Lärmpegel zum Verschwinden zu bringen und das Paradies der Lautlosigkeit wiederherzustellen.


Was könnte die Bewegungsform des „Mucksmäuschens“ sein? Ein Erstarren in der Bewegungslosigkeit? Oder – wie es uns das „Muxmäuschen“-Gedicht von Simone Kornappel vorführt – eine spiralenförmige Bewegung, eine Schneckenlinie, die sich um eine bestimmte Achse dreht, um eine unsichtbare Mitte und die irgendwann in der „Stille“ endet. (Wobei die Bildstruktur des „Muxmäuschens“ zwischen Spirale und konzentrischem Kreis changiert. Während das Druckbild einen konzentrischen Kreis suggeriert, der freilich offen ist, läuft der Text spiralenförmig nach innen.)


Signifikant sind freilich die textuellen Signale, die in Richtung eines technischen Mediums deuten – der Schallplatte. Die Versstruktur gleicht letztlich einem Plattenteller, was gleich an zwei Stellen bekräftigt wird: wenn nämlich vom „Tonabnehmer“ die Rede ist und vom Versuch, „die nadel nur an immergleicher stelle anzusetzen“. Aber auch die Speichertechnik auf Schallplatten und anderen modernen Ton- oder Informationsträgern funktioniert nach dem Prinzip einer Spirale.


Die Spirale ist seit jeher ein ästhetisches Zeichen für Schöpfungsprozesse aller Art, ein Zeichen, das wir vorfinden in Muscheln, Schnecken und anderen Naturorganismen – und eben auch in Gedichten.


Das „Muxmäuschen“ von Simone Kornappel, mit „x“ geschrieben, ist ein visuelles Poem in der Tradition der experimentellen Lyrik, ein Gedicht in Spiralenform, das die Tradition der Bildenden Kunst und der Ikonographie in der poetischen Form des Gedichts, wie auch in seinem sprachlichen Material aufruft. Es gehört zu den schönen Paradoxien dieses Textes, dass es erstmal einigen Lärm verursacht, bevor es am Ende zu dem uneitlen Wort „still“ findet.


Wenn sich das „muxmäuschen“ auf dem äußeren Ring der Spirale in Bewegung setzt, kommt es gleich zu vokabulären Kollisionen. Der vorsätzlich herbeigeführte Zusammenprall gegensätzlicher Bildbereiche und Sprachfelder, vor allem die Konfrontation von biologischem Körper und Kunst-Körper gehört zu den primären Textstrategien Simone Kornappels. „muxmäuschen das abhusten von frührenaissance meint auswurf oder tussis in pastell to /tenderize your tongue bei botticelli & leckmuschel wie tzunge an batterie gegebenen-//falls …“ Simone Kornappel sorgt für Verstörung, für kunstvoll hergestellte Dissonanz, für das Unterbrechung jenes beruhigenden Wohllauts, den wir von konventioneller Lyrik kennen. Ihre Gedichte verfeinern jene aggressive „Montagekunst“, die einst Gottfried Benn als „Stil der Zukunft“ qualifiziert hat.


Diese Gedichte begeben sich mitten hinein in unsere Körperwelten und in unsere digitalisierten Lebensräume – sie dokumentieren und kritisieren den „urbanen tinnitus“ (so heißt es in der „rube-goldberg-maschine“), der unser Leben erschwert. Und sie lassen die „songlines“ der ehrwürdigen poetischen Tradition und die Technizismen des digitalen Zeitalters kunstvoll aufeinanderprallen.


Der „Raumanzug“ der amerikanischen Astronauten bestand einst aus zahlreichen Schichten verschiedener Textilien, Kunststoffe und komplexer Metalle. Simone Kornappels „Raumanzug“ besteht aus zahlreichen Schichtungen ineinander montierter Körperzeichen und Kunstzeichen.

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Aus: Der gelbe Akrobat. Neue Folge 2009-2014. Verlag Poetenladen, Leipzig 2015. Im Original erschienen auf poetenladen.de

Video zur Veranstaltung Cocktail-Party-Effekt am 26.2.14 in der Lettrétage. (Veranstaltungsankündigung im Lettrétagebuch)

Texte von Simone Kornappel u.a. auf DISPLEJ.eu und Poetenladen.de

kuratorisches Statement

Warum Ross Sutherland?

Foto: (c) Ken Yamamoto

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