Originaltext
Ross Sutherland: A Second Opinion

 

Das Herz, das Innerste, als Ort der Unverfügbarkeit, auch als Topos lyrischer Dichtung wird hier verabschiedet. Wurde es in den Zeiten des Petrarkismus schon als Diamant, als kalt und verschlossen (die Zuschreibungen bezogen sich natürlich aufs Herz der Dame), also unmenschlich, jedenfalls nicht zum Aufschwung in dichterische Höhen geneigt, beschrieben, so wird das Herz als Muskel aufgefasst, andererseits wird der romantische Bedeutungsballast voll ausgekostet: Der „ruhelose Derwisch“ steht für diese überkommene Konnotation, ebenso wie die Stare am Hafendamm, der natürlich verfällt, soviel detailgetreue Parodie der Ruinen- und Friedhofsehnsucht der Präromantik (Edward Young, The Complaint or Night-Thoughts on Life, Death and Immortality, 1742ff.) und Romantik (z.B. E.A. Poe, The Raven oder Novalis, Hymnen an die Nacht oder William Blake, The Chimney Sweeper) muss wohl schon sein. Mario Praz Kulturstudie Liebe, Tod und Teufel (1930 in ital. Sprache, 1963 auf Dt. erschienen) ist diesbezüglich noch immer lesenswert.

 

Es ist wohl so, dass sich sehr traurige Nachrichten (Tod naher Menschen, Beziehungsaus oder scheiternde Ehe, etc.) nur in solch groteskem Szenarium verarbeiten lassen. Das Lachen, das im Halse stecken bleibt, ist besser als jede Depression. Ist das Hypochondrie? Wer das glaubt, hat noch nie getrauert. Das, was sich da als schrulliges Gedicht der Lektüre anempfiehlt ist nicht weniger als die Alternative zur vollständigen Aufgabe. Vielleicht gibt es bessere Bilder dafür, als „ein über den Kleiderschrank gehängter toter Fuchs“? Ich weiß nicht, kann sein (Les Murrays „schwarzer Hund“ wird hoch gehandelt), aber Sutherlands Bild wäre dann trotzdem ganz schön weit vorne.

 

Und damit es nicht heuchlerisch und eskapistisch zugeht wurde der Form die Aufgabe zugewiesen, das Gewissen des Gedichts zu sein: Der Ton ist zwar nicht threnetisch, nicht klagend, aber die Zweierreihen, das könnten auch Distichen sein, so wär’s auch eine Elegie, für den (in metrischen Dingen) „ungeübten Betrachter“ bloß nicht unmittelbar kenntlich, sondern als Formzitat, die dem Puristen freilich ein Gräuel sind: „Wie wenn jemand ein stilistisches Pastiche verfaßt, nicht eine Mystifikation, die für echt zu gelten hat, sondern etwas, was einen Schimmer verleihen will. […] Was es gibt, sind Reminiszenzen, Anklänge, Umspielungen einer als bekannt vorausgesetzten Tradition, der sich der Dichter nicht direkt anschließen möchte (oder konnte). Solche Formzitate als Andeutungen sind in unserem Jahrhundert beliebt.“ (Leif Ludwig Albertsen, Neueren deutschen Metrik = Germanistische Lehrbuchsammlung, Bd. 55 b, 2. überarb. Aufl., Weidler Buchverlag: Berlin 1997, S. 142f.)

Albertsens These wäre für das 21. Jahrhundert wohl auch zu belegen.

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